„…sie kletterte immer weiter und dann stand sie endlich am Rand des Lochs und sah in einen leuchtenden Himmel. Sie folgte den Schreien der Möwen und entfernte sich vom Abgrund, von ihrem früheren Leben. Und mit jedem Schritt spürte sie, dass sie niemals dorthin zurückkehren wird. Nie mehr.
Sie ging durch lichten Wald, über sandigen Boden. Dünen tauchten auf. Sie leuchteten im Licht und ihr Sand war warm. Die Möwen waren jetzt überall und ihre Schreie wurden immer lauter. Ihre Flügel flatterten ganz dicht über ihrem Kopf, manchmal berührten Federn ihr Haar. Sie ging wie in einer Wolke aus Vögeln über die Dünen und hinter den Dünen lag dieses gewaltige Meer.
Und ein schmales Ruderboot.
Und ein Paddel.
Die Möwen sammelten sich hoch über ihr in der Luft. Ein riesiger Schwarm weißer Körper. Sie flogen so eng und dicht zusammen, überall flatterndes Weiß. Und irgendwann wurde aus dem Flattern und Schlagen eine einzige Bewegung. Langsam und kraftvoll. Aus tausenden Flügeln wurden zwei. Die Frau schaute nach oben und sah nur noch einen großen weißen Vogel, der über den Strand flog. Er glitt über das Meer. Der aufgehenden Sonne entgegen. Und sie erkannte die Richtung, wohin der Weg sie führen will. Nach Osten, über das Meer zum Horizont. Irgendwo dort ist ihr Ziel…“
Auszug aus der Geschichte „Kraft“, „Das Farbenhoroskop“, 2024, Lars van Keuk