Im besten Fall erzählt ein Foto eine Geschichte. Und ein Buch erweckt Bilder zum Leben.
1970 wurde ich geboren, und seitdem lebe ich auf diesem rätselhaften, besonderen Planeten, in Europa, in Deutschland. In Sicherheit. Jackpot, gleich zu Beginn ein Sechser im Lotto; eine gütige Fügung des Schicksals; zufällig richtig viel Glück gehabt. Seitdem gehe ich durch dieses geschenkte Leben und bin eigentlich jeden Tag dankbar dafür. Mag der Wind von vorne kommen, soll er stürmen, es ist Luft, die sich bewegt, mehr nicht.
Als Physiotherapeut versuche ich, neurologisch erkrankte Menschen durch eine Zeit zu begleiten, die düster und schwer sein kann, die einsam macht. Hierbei lerne ich viele Menschen und deren Biographien kennen und je älter ich werde, desto mehr begreife ich, wie einzigartig dieser Planet ist und wie vergänglich das Leben. Gesundheit währt nicht ewig, sie endet womöglich beim nächsten Sonnenaufgang oder hinter der nächsten Straßenecke.
2015 hörte ich auf, „einfach nur ein Foto machen zu wollen“, ich begann zu fotografieren, ich wollte etwas so abbilden, wie ich es tatsächlich sah oder mir in meiner Fantasie vorstellte. Ich arbeite in „Projekten“, bleibe somit über Wochen oder Monate demselben Thema verbunden und versuche dabei zu begreifen, was mich an ihm speziell interessiert. Manchmal sind es wiederkehrende Strukturen im Alltag, manchmal starke Lichtkontraste, Schattenwürfe. Plakatlandschaften, die wie Collagen aussehen, Sperrmüll, vom Zufall perfekt arrangiert. Während der Pandemie habe ich zum ersten Mal verstanden, wie heilsam Fotografie bzw. Kunst sein kann; die Suche nach einem möglichen Bildausschnitt, das Belichten, das Fokussieren, und zeitgleich das Verblassen der Wirklichkeit, des Lebens, welches mich währenddessen weiterhin umgibt. In diesen Augenblicken vergesse ich mich häufig selbst, ignoriere, wie ich auf Außenstehende wirke, und würde mir jemand in diesen Minuten mein Fahrrad stehlen, würde ich es wahrscheinlich nicht bemerken.
Ähnliches empfinde ich beim Schreiben. Hiermit begann ich 2021, nach dem Tod meines Bruders, als dieser meinen Eltern in den Himmel folgte und ich alleine auf der Erde zurückblieb. Trauer verlangt nach Aufmerksamkeit, ihre Stimme ist dominant. Und ihr hörte ich zu, eine ganze Weile, dann setzte ich mich hin und begann zu schreiben.
Mittlerweile habe ich im Selbstverlag zwei Bücher mit Kurzgeschichten und Gedichten veröffentlicht („Lichtermeer“ 2023, „Das Farbenhoroskop“ 2024), zwei Romane befinden sich in den letzten Zügen. Es sind fiktive Geschichten, die das Leben beschreiben, in sämtlichen Schattierungen, in all den launischen Farben, in denen es sich mir bisher zeigte.
Ähnlich wie beim Fotografieren blende ich beim Schreiben die Umwelt und den Alltag aus und betrete meine eigene kleine Welt, sie ist manchmal beengt und beklemmend, manchmal ein quirliger Spielplatz. Ein Ort tiefer Gefühle, an dem ich mich dennoch sehr wohl fühle. Hier vergesse ich Nachrichten über Kriege, über eine verrohende Gesellschaft oder über die drohende Gewalt der Klimakatastrophe.
Mit der Fotografie versuche ich, Stimmungen und Atmosphären einzufangen und festzuhalten, in meinen Texten versuche ich genau diese mit Worten zu kreieren. Insofern gehören für mich Bilder und Geschichten zusammen, im besten Fall bilden sie eine Einheit. Fotos erzählen Geschichten und Bücher erwecken Bilder zum Leben.
Ich lese gerne, ich höre gerne Musik. Ich mache viel Sport, immer outdoor, in der Natur. Am allermeisten genieße ich das Leben, wenn meine Frau und ich aufbrechen, beladen mit Rucksäcken, gefüllt mit Proviant. Wenn wir losziehen, voller Neugier, und dann, nach Wochen, wiederkommen, mit leichteren Rucksäcken, weniger Gewicht, aber um so mehr Geschichten und Bildern im Herz.