Das Bild der tausend Bilder

„… ich beobachtete meine Mutter, wie sie unbewegt vor dem Bild stand und es ansah. Ich stellte mir vor, sie würde im Bild verschwinden, es betreten wie durch eine Tür und so zu einem Teil von ihm werden. In ihm leben als eine Figur des Marktplatzes, umgeben von uralten Häusern und geisterhaften Menschen, die undurchsichtige Botschaften flüstern oder mehrdeutige Zeichen geben.

Überall plätschern Geheimnisse. Rätsel wanken durch die verwunschenen Gassen und durch jedes gehauchte Gespräch. Es wirkte wie ein tiefer Schlaf, als schliefe meine Mutter stehend und mit offenen Augen vor dem Bild. Irgendwann erwachte sie aus der Starre. Mit klarem Blick und einem Plan. Am gleichen Tag zog sie aus und ließ sich scheiden…“

 

Lars van Keuk, Lichtermeer 2023, Auszug aus „Das Bild der tausend Bilder“.