„.als du ein Kind warst, hörtest du zum ersten Mal von ihm, vom See, der Wünsche erfüllt. Es war ein Gespräch im Dunkeln, ein leises Wispern, flüsternde Stimmen. Sie beschrieben einen magischen Ort. Der See sei nicht leicht zu finden, er sähe unscheinbar aus und würde oft übersehen. Er sei klein und sein Wasser still, aber er werde immer größer, je näher man ihm käme. Es scheint dann, als atmete er, als holte er tief Luft. In einem einzigen endlosen Atemzug.
Und wenn du an seinem Ufer stehst, spürst du seine unsichtbare Macht. Der See will, dass du dich vor ihm verbeugst und um Erlaubnis bittest. Du sollst ihn bitten, in sein Wasser treten zu dürfen. Und dann spürst du eine warme Strömung und eine anziehende Kraft, die dich sanft umspült und mitnimmt in die Tiefe. Du sinkst hinab auf den Grund des Sees und fühlst über dir die Massen aus Wasser. Sie liegen über dir wie ein dunkler Himmel und du meinst, atmen zu können, du meinst, du seist schwerelos und du wünscht dir, ewig hier zu bleiben, am Boden dieser glitzernden Wasserwelt.
Und dann sprichst du deine Wünsche aus. Gibst sie ab an den See und sie werden zu Wasser und schweben fort von dir. Du siehst ihnen hinterher, wie sie davonwehen, getragen von der Strömung, es wirkt wie ein Spiel. Und du schaust verzaubert zu, stundenlang, und du wirst müde und müder und schläfst ein.
Und dann wachst du am Ufer des Sees auf und wunderst dich, wie lange du dort gelegen hast. Du erinnerst deine Wünsche nicht mehr, aber du weißt, sie werden erhört und erfüllt werden. So wurde es erzählt. So hast du es verstanden und dann hast du dich viele Jahre später auf den Weg gemacht…“
Lars van Keuk, Lichtermeer, 2023, Auszug aus der Geschichte „Der See, der Wünsche erfüllen kann“